Transkription

Leipzig am 17./III 04

Lieber Freund,

Deinen Brief, den ich Sonntag bekam,
hätte ich gern gleich erwidert, wenn ich
nicht die Tage nachher in Berlin sein
müßte. Deine so gutgemeinte Warnung
traf mich gerade an, als ich am festesten
entschlossen war, Leipzig zu verlassen.

Nun habe ich mich auch durch Kontrakt gebunden,
und noch vor Ostern wird hier abgebrochen.

Lieber Freund, ich habe mich ohne Unterlaß
gefragt, was ich thun muss; Alles habe ich
durchgenommen und ich hoffe, daß nun
die Endstimmung, die ganz und gar
für Berlin spricht, so bleiben möge.

Der Schritt ist schwierig, aber doch {dort} giebt es Menschen
und Interessen. Italien oder eine andere
Landgegend war ja leider völlig ausgeschlossen,
da sich eben keiner fand, der mich unterstützen
wollte, wie Du ja selbst erfahren hast.

Hierbleiben aber? Mein Gott, es passt nicht
Alles für jeden! Auf mich wirkte das Milieu

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hier ganz drückend, und das mußt Du
verstehen. Noch länger warten aber hieße
nach unserer Meinung, den Anschluß
in Berlin verpassen. Denn daß ich
hier ausreichend Beschäftigung finden würde,
ist ganz ausgeschlossen; jetzt und später.
Ich aber lebte nicht hier, sondern war hierher
verbannt. Unsere Übersiedlung nach
Berlin verursacht uns so elend große Kosten,
das macht mich bange. Da erleidet die Kasse
sofort einen Stoß, der nicht gleich wieder
geheilt werden kann. Dort sind Wohnungen
und Ateliers selbstverständlich bedeutend
teurer – doch das wußte ich vorher auch, und ich
werde mich einzwängen wie ich kann.
Ein Versuch, außerhalb Berlin’s zu wohnen
und zu arbeiten, mißlang glänzend,
indem einfach kein Atelier zu finden war.
So wollen wir uns dann in Wilmersdorf
niederlassen. Doch mündlich mehr davon.

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Und somit will ich wieder zu deinem
Brief kommen. Wie beide freuten uns
sehr über Deine Teilnahme. Natürlich
hoffen wir sehr, Dich noch einmal zu sehen.
Bisher ist es absehbar, daß wir die Ostertage
selbst noch hier sein können, weshalb wir
nun auf Euren beiderseitigen Besuch
verzichten müssen; Meine Frau schrieb das
vielleicht schon. Leider läßt es nicht anders
einrichten. Weißt Du, aber im Sommer
hoffe ich doch, daß wir uns mehrere Wochen
wo treffen können; das heißt, wenn Ihr
auf die Gegend nicht viel Wert legt und
nicht besondere Ansprüche stellt. Im Sommer
wird es in der Großstadt so häßlich, daß wir
schon wegen des Kindes einige Zeit auf’s
Land gehen möchten. Ich will das mit Mal-
studien verbinden, und wir müssen das
aller einfachste Dorf in der Mark
wählen. Dann wird es gehen. Sommerfrische
à la Hersfeld ist schon viel zu teuer.

Doch auch davon können wir mündlich bald
sprechen.

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Willst Du diesen Sonntag kommen?
Sonst bleibt nur noch der Palmsonntag
übrig. An beiden Tagen kann ich für
den Vormittag nicht gut sagen
wegen einiger Abschiedsbesuche. Aber,
lieber Freund, wenn du gegen Mittag
hier ankommst und bis zum letzten
Nachtzug bleibst, so werden wir viel
sprechen können, nichtwahr? Besser kommst
Du gleich als später, denke ich. -

Über Osthaus(1) sprechen wir dann auch. Tuch(2) hält
es für aussichtslos, ihn anzugehen, da er ein
Mensch ganz anderer Interessen sein soll.

Du schreibst mir auch sehr offen über Geldange-
legenheiten, was ich für sehr richtig halte.
Unklarheiten führen zu nichts, und ich muß
mich in Geldsachen leider vor {noch} anderen Menschen
bloß stellen als vor Dir, dem Freunde.
Bitte komme bald, ich wünsche sehr herzlich,
Dich nochmals zu sehen.

immer Dein Kolbe.

Anmerkungen

  1. Osthaus, Karl Ernst (15.4.1874, Hagen – 25.3.1921, Meran), Kunsthistoriker, Kunstmäzen, Kunstsammler, Museumsdirektor, Ethnologe

    http://d-nb.info/gnd/118590502
  2. Tuch, Kurt (27.5.1877, Leipzig – 23.11.1963, Muri, Kanton Aargau, Schweiz),  deutscher Maler und Graphiker

    http://d-nb.info/gnd/11743339X