Transkription

Leipzig am 30./I 04

Lieber Freund!

Es ist wirklich traurig von Seemann(1),
Dir nur 2 Hefte zu schicken. Mir sandte er
fünf, worauf ich selbst ging und mir
weitere fünf holte. Mehrmals schrieb ich
vorher Seemann, daß er Dir auch
genügend geben sollte, weil wir die
Hefte verschenken wollten. Hoffentlich hast
Du inzwischen noch ein Paket erhalten.
Ich könnte ja noch 2 Exemplare abgeben,
wenn Du absolut von der Firma nichts
bekommen solltest.

Ich finde es sehr gut, daß die Béarn(2) aufgesucht
werden soll. Ihre Adresse habe ich nicht im
Gedächtnis, aber ich werde in Connewitz
heute abend suchen und denke sicher, daß ich
irgend einen Brief von ihr dann finden
kann; dann bekommst Du sofort noch
eine Postkarte. Es wäre natürlich gut, wenn
Du Deine gute Absicht mit dem Brief sofort
aus ausführen könntest; der Frühling naht und

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die Gräfin wird nicht in Paris bleiben. –

Für Treu(3) kann ich Dir leider keine
Aufnahme der eingeladenen Arbeit
schicken; das Porträt meiner Frau ist
ja im Heft; es soll also zur Concurrenz [Dresdner Skulpturensammlung]
angekauft werden, dorthin geht mein
Trachten; auf jeden Fall will ich es aber
dann zur Ausstellung geben.

In Frage kommt dann noch
ein Napoleon(4)-Kopf in Bronze, der noch
nicht fertig ist und von welchem deshalb
auch noch keine Aufnahme existiert.

Er soll nur zur Ausstellung z wandern,
und ich werde es ohne „Einladung“ versuchen.
Wollen wir nun gleich bei dem leidigen
Begriff „Einladung“ bleiben? Nachdem ich
Deinen Brief heute früh erhielt, habe ich manches
Selbstgespräch gehalten, und zwar dreht es sich
natürlich um Deine Ausdrücke „kränken“
und „beleidigt sein“.
Glaubst Du wirklich daß mich T Treu kränken
und Holst(5) beleidigen kann?

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Daß ich schimpfte, ist freilich nichts als eine schlechte
Laune gewesen; ich glaube, ich entschuldigte mich
auch nach dem Ausfalle. Indes nehme ich nichts
zurück, denn Zustände, die mich ärgern, kann ich
nicht gut heißen. Verstehe, daß Tuch(6) oft abends
bei uns ist, und oft bis zur späten Nachtstunde
sitzen wir und besprechen sein Mißgeschick.
Am Abend nun, als ich Dir schrieb, kam er,
auch sehr gedrückt, und erzählte auch von Hettner(7)s
Einladung. Doch ich werde nicht weiter darüber
sprechen. Meine Frau sagte heute früh, als sie
Deinen Brief las: „Das hättest Du nicht schreiben sollen.“
Also verstehe recht, sie tadelte mich, und sie hat recht.

Doch genug davon!

Ich glaube, Tuch(6) hat Dich inzwischen mehrmals um
die Vermittelung seiner Angelegenheit
gebeten, und zwar wünschte er seine Bilder zurück.
Auch nachdem Du mir den Vorschlag thust, doch
noch bei Holst auszustellen, wird sich die Sache
nicht mehr ändern. Ich bekomme ja un-
möglich eine Collektion zusammen.

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Der „Sommertag(8)“ geht nach Berlin allerdings
erst in 4 Wochen; Napoleon und die Büste meiner
Frau sollen zur großen Dresdner Ausstellung
kommen. Der Bach(9) existiert nicht mehr
für mich; in Gyps aber stelle ich nicht wieder aus.
Also ich habe direkt nichts als erstgenanntes
Bild; an diesem aber will ich noch malen, ehe
es nach der Berliner Secession geht.

Es thut mir sehr leid, daß ich ohne mein Verdienst
so zum Sündenbock dieser Ausstellung
geworden bin, und ich bedaure Dich, daß Du soviel
Mühe darum hast. Tuch(6) weiß, wie es bei mir
steht und es ist auch sein Beschluß, daß ich nicht
ausstellen soll.

Nochmals, laß mich bitte wissen, ob Du
noch weitere Hefte erhalten hast.

Sei herzlich gegrüßt

von Deinem Kolbe.

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[Beilage]

[Briefpapier “Rome Grand Hôtel“, Adresse mit Handschrift der Comtesse de Bearn]

Comtesse de Bearn
22 Avenue Bosquet
a Paris.

Hier hast Du die Adresse der Gräfin,
von ihr selbst geschrieben. Ich hätte Dir
ja auch noch Briefe beilegen können, aus
denen man ihre Art sieht, Du kannst aber
aus obiger Schrift genug lesen. Brauchst nicht
gar zu vorsichtig zu sein, die Dame liebt
schöne, schwere Wörter, sie ist Vollblut-Französin.

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Ich glaube, Du mußt ihr so schreiben, daß es
uns nicht mehr gefällt; denn schließlich
wollen wir doch Erfolg haben.
Es wäre schon herrlich, wenn Dein Brief
Früchte brächte. Die Gräfin soll ja enorm
reich sein, und ich male ihr alles, was sie
nur begehren mag. –

Willst Du mir noch bitte gelegentlich
folgenden Ausdruck aus Deinem
Aufsatz erkläre? „Schiboleth“?
Ich habe das Wort nie gehört und möchte
doch auch wissen, was das wörtlich bedeutet.

Der Briefbogen stammt aus Rom und
ist mir durch einen Zufall erhalten.

Deine Frau und Dich grüßt herzlichst
Dein Kolbe
meine Frau schließt sich an.

Anmerkungen

  1. Seemann, Artur (30.11.1861, Reudnitz bei Leipzig – 23.12.1925, Meran) übernahm 1899 den Verlag seines Vaters Ernst Arthur Seemann. Herausgeber der Zeitschrift für bildende Kunst, in der 1904 ein wichtiger Beitrag von Hermann Schmitt über den jungen Kolbe erschien.

    http://d-nb.info/gnd/107458055
  2. Bearn, Martine-Marie-Pol de Béhague, Comtesse de Bearn (12.3.1870, Paris – 26.1.1939, Paris), Sammlerin und Dame der Pariser Gesellschaft

  3. Treu, Georg (17./29.3.1843, St. Petersburg – 5.10.1921, Dresden), Kunsthistoriker, Archäologe, Direktor der Skulpturensammlung im Dresdner Albertinum

    http://d-nb.info/gnd/119247216
  4. Werk Georg Kolbes, Porträt Buonaparte, 1903/04, verschollen

  5. Holst, Hermann, Leiter des Kunstsalons Emil Richter in Dresden, ab 1899 Königlicher Hofkunsthändler, ab 1904 Sekretär des Sächsischen Kunstvereins

    http://d-nb.info/gnd/127601503 (nicht sicher)
  6. Tuch, Kurt (27.5.1877, Leipzig – 23.11.1963, Muri, Kanton Aargau, Schweiz),  deutscher Maler und Graphiker

    http://d-nb.info/gnd/11743339X
  7. Hettner, (Hermann) Otto (27.1.1875, Dresden – 19.4.1931, ebd.), Maler und Bildhauer

    http://d-nb.info/gnd/116779276
  8. Werk Georg Kolbes, "Ein Sommertag", Tempera auf Leinwand, 1903 (Dresden, Staatliche Kunstssammlungen, Gemäldegalerie Neue Meister)

  9. Werk Georg Kolbes, Porträt Johann Sebastian Bach, 1903