Transkription

Leipzig am 3./10. 1902

Mein lieber Freund!

So gut wie die Anrede soll aber
der Brief nicht werden, denn ich
möchte Sie einmal auszanken,

weil ich nicht anders kann, oder ich
xx müsste dann immer schweigen.

Wissen Sie, daß ich garnicht mit Ihnen
zufrieden bin? Freilich, was darf ich
für Ansprüche erheben? Aber ange-
nommen, ich könnte es, wie
dürfte ich mit einem solchen Freunde
zufrieden sein? Zu meinem
lebhaften Bedauern sind wir so
unangenehm getrennt, und es
giebt nun nichts weiter zwischen uns
als das Wort, welches unser
Innenleben enger verknüpfen
kann, da es das Auge nicht mehr

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vermag. Ich bin nicht Idealist genug,
um nur von der Idee zu leben.
Mein Gott, wenn zwei Menschen
in solchen Saiten zusammen klingen
wie wir, so sollten Sie diese doch
öfter berühren und nicht durch gewalt-
sames Schweigen die Harmonie
verlängern. Noch von Ihrer Reise
her bin ich unzufrieden denn x sie
brachte mir nicht halb das, was ich
beanspruchte. Das Reden aber gar
scheint Ihnen eine verhaßte Sache zu
sein, denn Ihre Worte sind
für mich stumm und tot.
Haben Sie ganz und garnicht das Gefühl,
einmal mit mir zu reden?
Eigentlich ist das eine rechter Primanerbrief,

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aber gut, dann bin ich eben ein Primaner.

Photos meiner Arbeiten konnte ich Ihnen
noch nicht senden, an die Bilder selbst
habe ich mich noch einmal ganz nah
herangeschlichen, und da wird scheinbar
noch manches Gute xxx herausgebracht.

Ich bin froh, daß noch nichts in Berlin ist.
Man muß mehr den rechten Zeitpunkt
finden, eine Sache nochmal ganz von
Anfang an durchzunehmen, dann ist sie
auch ganz neu und die Kraft wieder
frisch. Das Portrait meiner Frau werde
ich in Marmor meißeln, Klinger(1)
giebt mir einen passenden Blick
dazu. Das ist recht anständig!

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Haben Sie schönen Dank für die
Bemühung um die Ausstellung.
Sascha Schneider(2) war kürzlich hier
und versicherte mir, daß ich eingeladen
würde, wörtlich that er's selbst schon, denn
er gehört zum Comité. Also ist diese
Sache erledigt. Meine hiesige Ausstellung
kann vor Weihnacht unmöglich
vor sich gehen; So, nun übergebe ich
Ihnen das Wort.

Seien Sie und unbekannterweise
auch Ihre Frau recht herzlichst
von uns gegrüßt

Immer Ihr treuer
Kolbe