Transkription

Leipzig am 1. Juni 1902

Lieber Schmitt!

Endlich seit wenig Tagen schleicht die Brunnen-affaire(1) langsam
vorwärts, aber noch keineswegs sicher. Bald drohte alles ins Wasser
zu fallen, denn die Auffassungen des alten Grafen Harrach(2) und
die meinen lassen sich sehr schwer vereinigen. Ich benahm mich
durchaus nicht hartköpfig, aber anfangs sandte ich ganz furchtlos
Skizzen zu einer weiblichen Figur ein, das hatte dem Unter-
nehmen schon bald den letzten Stoß gegeben. Der alte Herr
ist jedoch gütig und ich sehr folgsam, besonders weil ich Geld
brauche und die Harrach‘s nicht verlieren will. Nun ist es
so weit, daß ich plastische Skizzen einsenden soll, nachdem
ich nun ganz genau erkannt habe, was gewünscht wird.
Die Grundidee ist vom alten Grafen selbst; gänzliche Nacktheit
muß ausbleiben, antike Schönheit aber erhält den Vorzug.
Sie werden bereits wissen, wie ich die Aufgabe zu lösen der
rechte Mann bin!!! Dennoch will ich die Arbeit thun;

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einen künstlerischen Fortschritt kann die einstige fertige Figur
aber niemals für mich bedeuten.

In dieser langen Zeit bisher brachte mir das Warten
auf die Harrach(2)’schen Antworten manche verdrießliche
Stunden. Zuletzt wurde ich dann endlich klug und wartete
überhaupt nicht mehr; sondern wandte mich ganz und gar
meiner dekorativen Malerei zu. Ein großer Schinken(3),
4 mtr. : 2,55 mtr., steht jetzt fertig da; er ist sehr bunt und
unverkennbar in der Absicht; zwei kleinere sollen nun
weiter entstehen – bei dem Schnellmalen, oder besser
Stückweise-Malen, muß man die Ohren verdammt spitz
halten. Es ist schwer, den rechten Grad der Dekoration in
der Ausführung zu finden, da ja das Material noch lange
nicht genügend zur Einfachheit zwingt.

Ich habe keinen Mann, mit dem ich reden kann, es ist
vielleicht auch nicht notwendig; aber doch wäre es manchmal sehr
schön gewesen, wenn ich ich Sie hätte haben können.

Mit Klinger(4) ist nichts anzufangen; er lebt in beständiger

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Zerstreutheit. Einmal nur war ich wieder bei ihm, und ich werde dort
nur unzufrieden ob seines enormen Reichtum’s. Hätte ich
Mittel, schon längst stünde in meinem Atelier eine Plastik
nach meinem Sinne. Übrigens kaufte Klinger(4) auch meinen
Faust(5), was mir viel Freude macht.

Täglich denke ich stark an Sie, und längst schon hätten Sie eine
Antwort auf Ihren guten Brief; tags bin ich aber sehr thätig,
und die Abende sind kurz und bestehen nur aus Mahlzeit,
Spaziergang und baldigem Schlaf. So fühle ich mich unendlich
wohl. Könnte ich Sie von Zeit zu Zeit einmal haben, ich
glaube, es fehlte mir dann nichts mehr. – Und wie geht es nun
Ihnen? Was denken Sie über ein Wiedersehen? Schreiben Sie,
daß ich kommen soll, und ich thue es. Leider aber müßte ich
allein s reisen, da meine Frau in einem Tage die doppelte
Strecke nicht gut vertragen würde. Und übernachten will ich in
Dresden wegen meines Bruders prinzipiell nicht. Ebensogern
als Kommen würde ich Sie hier sehen und möchte gern die
Unkosten tragen; gefällt Ihnen das nicht? Geht es Ihrer Braut gut?
Meine und meiner Frau beste Grüße; auch an Ihre Frau Mutter
und besonders Sie, lieber Freund,

ganz Ihr Kolbe.

Anmerkungen

  1. Werk Georg Kolbes, Badende (Brunnenfigur für Ferdinand Graf Harrach), 1902, s. Hermann Schmitt: Georg Kolbe, in: Zeitschrift für Bildende Kunst, Januar 1904, S. 81 f., Abb. S. 82

  2. Harrach, Ferdinand Graf von (27.2.1832, Rosnochau – 13.2.1915, Berlin), Landschafts-, Historien- und Porträtmaler; Vater von Hans Albrecht Graf von Harrach, Bildhauer (11.2.1873, Florenz – 22.10.1963, Hohenried)

    http://d-nb.info/gnd/119540479
  3. unbekanntes Werk Georg Kolbes

  4. Klinger, Max (18.02.1857, Leipzig – 04.07.1920, Großjena), Künstler, Maler, Radierer, Grafiker, Bildhauer

    http://d-nb.info/gnd/118563335
  5. Faust-Zyklus, Werk Georg Kolbes: "Aus Goethes Faust", bestehend aus 23 Farblithographien, erschienen 1902