Transkription

Paris am 8. Feb. 1902, Hotel d’Angleterre rue Jacob

Mein lieber Schmitt, ich war also schließlich auch bei
Hettner(1) – in schwarzem Sammetanzug trat er mir ver-
klärten Auges entgegen – Modell war da – die Figur
des Bogenschützen aufgedeckt. Sie ist noch weit zurück, und
man kann schwer etwas Bestimmtes über das Kommende
sagen. Jedenfalls wirkt das bis jetzt Bestehende als ernste
Arbeit, die Bewegung ist richtiger u. besser als in der Skizze.
Leider hat Hettner wieder beunruhigende Ideen. Die Figur
will er in Rom in Wachs beenden – Dort hat er von
Mai ab Hoffmann(2)’s [Hofmanns] Atelier gemietet. Besonders aber
geht er trächtig mit Bilder-Ideen, die bis zum Salon verwirklicht
werden sollen. Und zwar steht eine Leinwand im Atelier
mit skizzierten fliegenden Figuren. Die Studien aus Olevano
sah ich auch und finde, daß sie barbarisch sind. Was läßt sich da
sagen? Hettner ist ein scherzhafter Mann, er amüsiert sich gut
mit seiner Arbeit –

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II

In Paris hab ich nun gesehen, was ich zu sehen hatte, und
so sehr mir auch die Stadt gefällt, gehe ich doch gern nach Deutschland
zurück. Die Freiheit hier ist auch nur äußerlich – Anregung
bietet mir weder die bourgeoisie noch die bohème.

In wenig Tagen gehe ich nach Brüssel zurück, wo {sich} meine
affaires in sehr bestimmten Zügen dem Endziele
nähern. Verlobt bin ich; nur nicht so wie andere Leute, und
deshalb konnte ich Ihnen auch keine Karte senden. Sie sagen
es Ihrer Frau Mutter wohl anstatt besonderer Ankündigung.
Ende des Monats will ich dann in Leipzig sein, wo Sie
mich bei Ihrem hoffentlich baldigen Besuch verheiratet
finden werden. Ja mein Lieber, ich werde mich sehr, sehr freuen,
wenn ich Sie wieder einmal vor mir sehen werde. Ich wünsche
von ganzem Herzen, daß meine Verheiratung nichts zwischen
uns stellt. Wie gut es mir jetzt geht, will ich nicht besonders erzählen,

noch nie war ich so sorglos im Leben. Auf meine Arbeit in Leipzig
freue ich mich wie andere Menschen auf ein Fest.

Und wie geht es Ihnen? Ich verlange wirklich nach einem Wort
von Ihnen. Immer Ihr Kolbe.

[Einfügung rechter Rand senkrecht]

Eben kommt noch Ihr Brief, u. ich bin froh endlich etwas v. Ihnen zu haben.
Die Kritiklosigkeit d. Dresdner verstimmt mich ein wenig.

[Einfügung oberer Rand]

Adresse für Brüssel,
M. van der Meer de Walcheren, Uccle Brüssel,
rue Beeckman 56