Transkription

Roma, am 12./I. 99.

Verehrtester Graf!

Ich bin hocherfreut. Sie sind ein
feiner, ein selten feiner Mensch.
Das nenne ich „Aristokratisch“.
Wie überaus wohlthuend und wärmend
die Liebe, mit der Sie an mich gedacht
haben, auf mich wirkt, vermag ich fast
nicht zu sagen. Recht herzlich
drücke ich Ihnen die Hand zum Danke.
Lange hatte ich mich wirklich gesehnt
nach einer Nachricht von Ihnen, denn
es ist mir Lebensbedürfnis, von Menschen
geliebt zu werden, die ich lieb habe.
Mein Wohlsein hängt davon ab; vielmehr
meine Freude. Ich wurde ernst und
verstimmt, daß Sie mir kein Wort
sagten, und doch wußte ich, daß ich Ihnen
nie zürnen dürfte, und wenn Sie auch
auf nie wieder an mich denken würden,

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da jeder Mensch doch frei ist und nur thun
wird, woran er Freude findet.
Und was würde mir auch eine gezwungene
Zuneigung sein! Sie würde mich nur
noch ernster stimmen.

Da schrieb mir unerwartet die Gräfin
Zichy(1)
freundliche, anerkennende Worte,
und ich atmete leichter auf. Aber um Sie,
bester Graf, war es mir besonders leid.
Denn die Zahl meiner Freunde ist eben
noch nicht groß, und nicht schnell wird
ein Anderer dahin kommen, daß er mir
den Namen „Harrach“ deckt. Wo nicht
Seelenverwandtschaft ist, vermag mir der
größte Kopf nichts zu geben und mich nicht
zu erfreuen.

Daß ich mit Greiner(2) hier zusammenkam,
betrachte ich auch als besonderes Glück zur
rechten Zeit. Aber er kann mir nur Lehrer
sein, u. niemals Freund; denn er kann
mich nicht verstehen; er hat keine Seele,
die mein heiliges Sehnen begreifen könnte;
aber dort fängt erst mein eigenes Leben
an. Und doch habe ich auch Greiner sehr gern.
Keiner der mir in Rom bekannten Menschen

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hält den Vergleich mit ihm aus.
Also bester Graf, daß ich’s mit wenigen Worten
sage: ich nehme Ihre großherzige Güte mit
großer Freude auf. Ich stehe im Bezug auf Geld
eben jetzt sehr schlecht da, sodaß ich oft auf das
Modell trotz allen guten Willens und Eifers
verzichten mußte. Ich konnte es eben nicht er-
möglichen. Fast glaubte ich schon, Rom bald auf-
geben zu müssen; auch das Brot essen half mir
nicht empor. Wie anders wird das jetzt werden.
Nun wird mir das Modell keinen Schmerz
mehr bereiten und mit voller Ruhe und Freude
kann ich studiren. Und wie verzweifelt notwendig
das ist, unterschätze ich wahrhaftig nicht. Aber ich habe
ungeheuren Drang nach Vorwärts und was
mich dahin bringt, thue ich mit Lust.

Was ich gegenwärtig arbeite, will ich nicht in Worte
fassen, es ist ja alles nur ein heißer Kampf,
aber ich will Sieger bleiben, das steht fest.

Sie wissen, Graf, durch welche Krise ich gegangen bin.
Wie sollte ein Mensch wie Derleth(3) auch unbeachtet
an mir vorüber gehen? Es war eine schwere Zeit,
und sie mußte sein, gut, daß sie so früh kam.
Ich fühle mich wie ein großer Genesender.

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Vielleicht, daß ich Derleth nie wiedersehe, oder doch einmal
als Freund; aber dann wird er anders sein.
Er hat mir unendlich viel Schönes geschenkt.
Er hat mir mich selbst gegeben, und ich fühle meine
Kraft wie nie zuvor. Aber sein Weg ist nicht
mein Weg, und auch das mußte ich lernen.
Er hat mich an entsetzlichen Abgründen vorbei
geführt, und Mancher ist auch hinabgefallen.
Es war oft furchtbar; doch es „war“, es ist vorbei!
Eine seltsame Welt liegt jetzt hinter mir,
und meine Welt fand ich wieder, nur besser
und schöner als zuvor, denn meine Augen
waren reiner, als ich sie wiedersah.

Vielleicht, daß auch ich Derleths Zukunft
bestimmt habe.

Doch wozu jetzt davon reden? Das Papier ist
dabei voll geworden, und ich will mich kurz
fassen. Ihre Wünsche bezugs des Stipendiums
sind mir selbstverständlich genehm. Ich werde
das Geld ausschließlich für Modell und vielleicht
noch Material verwenden und am Ende des
Jahres 99 werden Sie nach Belieben 3 Handzeich-
nungen (Kompositionen) wählen. Wenn ich
Sie bitten darf, so senden Sie mir das erste Geld,
aber bitte im eingeschrieben[en] Brief (mit Anweisung
ist es hier auf d. Post sehr umständlich). Greiner ist
heute nach Deutschland gereist. Später schreibe ich Ihnen
mehr. Leben Sie für heut wohl und nehmen
Sie meinen wärmsten Dank.

Ihr Gg Kolbe.

54 via Margutta

[Einfügung linker Rand senkrecht]

Verzeihen Sie mir bitte diese unziehmlichen
Tintenkleckse. Es ist keine Zeit mehr,
den Brief nochmals zu schreiben.

Anmerkungen

  1. Maria Gräfin Zichy, Frau des österreichischen Botschafters in München

  2. Greiner, Otto (16.12.1868, Leipzig – 24.9.1916, München), Maler, Grafiker

    http://d-nb.info/gnd/118718762
  3. Derleth, Ludwig (3.11. 1870, Gerolzhofen – 13. 1. 1948, San Pietro di Stabio, Schweiz), Lehrer, Schriftsteller, Mitglied des „George Kreis“

    http://d-nb.info/gnd/18711420X