Transkription

München am 16./10. 98.

Sehr geehrter Graf!

Ihr Schweigen ist mir
unverständlich. Sollten
wirklich meine drei Briefe
nicht in Ihre Hände gelangt
sein?

Zur Stipendium-Concurrenz
reichte ich ein
die beiden Ihnen bekannten
kleinen Oelbilder und
folgende Zeichnungen:
„Auf der Fahrt zum Licht“
„Atlas“
„Entsagen“

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„Ich lasse Dich nicht, Du segnest mich
denn“
„Der grollende Meergott“

„Das Ende eines guten Menschen“
„Über allen Wipfeln ist Ruh“
„Das Land unsres Sehnens“
„Petrus“
„Judas“
„Der Einsiedler“
„Walkürenritt“
„Tod, wo ist Dein Stachel“
„Erkenntnis“
„Pilgerzug“

Obwohl einige Zeugnisse
fehlen, schrieb mir der Sekretär

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der Dresdner Akademie, daß mein
Gesuch genüge.

In 14 Tagen gehe ich nach Rom.
Ich habe noch eine aufrichtige Bitte.
Es würde mir eine Freude sein,
wenn Sie das eine Oelbild
(Jünglingsgestalt auf dem Felsen)
als ein Andenken von mir
annehmen würden.
Bitte schreiben Sie mir Ihr „Ja“.
Ich weiß nicht, wohin ich gehe.

Verzeihen Sie mir, was ich Ihnen
s noch sage. Wäre es Ihnen
möglich, dem Herrn Baron v.
Manteuffel(1)
zu erklären, daß

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mir jetzt, da ich nach Rom gehe,
Geld sehr notwendig wäre? Mit
dem Stipendium kann ich doch noch
gar nicht rechnen.

Nichtwahr, Graf, Sie verstehen mich
und sind mir nicht böse.

Mit großer Freude denke ich
immer an die Güte, die Sie
mir thaten, und niemals
werde ich das vergessen.

Ich sende Ihnen meinen
schönsten Gruß.

Georg Kolbe

Anmerkungen

  1. Sammler früher Zeichnungen Kolbes aus dem adligen Bekanntenkreis der Familie Harrach