Transkription

Ehrenhof am 26./V. 98.

Wertester Graf!

Auf Ihr liebes Schreiben, welches gestern
in meiner Mühle erschien, gingen
heute früh 10 Blätter meiner Komposition
an die gewünschte Adresse nach Schloß Seyfriedsberg(1)
ab. Da ich die bessere Hälfte meiner Arbeiten
mit hier habe, so war ich eben gleich in der
Lage, das Beste davon abzusenden.
Leider konnte ich Neues nicht mit beilegen,
da das Wenige, was ich bisher wieder gearbeitet
habe, zu einem Zyklus gehörig ist. In
Waldheim ist kein Stift in die Hand genom-
men worden, wie Sie ja auch aus dem
inzwischen in Paris angelangten Brief von
mir ersehen haben werden.

300 Mark wurden mir auch kürzlich durch
Ihre hochverehrte Gräfin Mutter zugesandt
mit dem Bemerk, daß auch die Blätter des

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Herrn Baron v. Manteuffel(2), sobald sich
dessen Adresse finde, abgeliefert werden würden.

Verzeihen Sie, bester Graf, daß ich heute
ein so flüchtiges Schreiben sende, doch bin
ich von der Arbeit wirklich sehr abgespannt.
Es wird jetzt in der Mühle fleißig geschaffen.
Eben bin ich fertig mit der Untermalung
meines schon erwähnten Bildes, wozu
alle Leibeskräfte nötig waren. Es war
doch eine höchst unerquickliche Arbeit, besonders
wenn man alle halben Stunden aufhören
muß, da es zum Dach hereinregnet.
Farbe geht auf den Schinken, das ist unglaublich,
obwohl er garnicht groß ist. Der Himmel allein
hat zwei große Tuben Weiß geschluckt.
Ich bin wütend. Jetzt kleben schon an die
20 Mücken darauf, Sie können sich
eine gelinde Vorstellung von dem Atelier
machen. Doch hat Michelangelo(3) auf dem
Rücken liegend arbeiten können, so werde ich
wohl auch so kleine Hindernisse verachten
müssen.

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Doch wenn ich da weiter folgen wollte, so wäre
es eben notwendig, daß ich meine ganze
Mühle verachtete, und die ist mir doch sonst so
lieb. Es ist auch wirklich sehr schön da, man
wird nirgends ungestörter und frischer arbeiten
können, nur eben der vermaledeite Platzmangel.
Heute früh 1/2 5 Uhr begab ich mich schon zum
Bache ins Bad, und um 5 Uhr war ich zur
Arbeit bereit. Was kann man da alles schaffen.
Bücher habe ich auch in Fülle neben mir
liegen. Besonders alte Griechen, auch Römer,
Dante, Schopenhauer, Darwin, Tolstoi,
Spinoza, Daudet, Flaubert und neben
anderen Klassikern noch vieles anderes.
Über Darwin werden Sie lachen, doch ich hab’s nun
einmal, und wissen will ich, was der Mann
zu schreiben hat.

Es wird Sie interessieren, welche Zeichnungen ich
zur Fürstin M. zu Oettingen Wallerstein(4)
sandte: „Petrus“, „Judas“, „Jakob ringt mit dem Engel“,
„Einsiedler“, „Pilgerzug“, „Entsagung“, „Abendklänge“,

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„Entfesselung des Prometheus“, „Im fremden
Land“ und den „Atlas“, nachdem derselbe
noch eine Verbesserung erdulden mußte.
So gut, als es mein hiesiger Aufenthalt
gestattete, habe ich die Sachen verpackt und
in einem Brief der Fürstin die Sendung
gemeldet, als deren Ursache ich Sie angab.

Doch leben Sie wohl, verehrtester Graf,
ich fühle mich doch zu sehr abgespannt.

Bitte vergessen Sie nicht, Ihrem
Sie hochschätzenden Kolbe wieder einmal
eine Nachricht zukommen zu lassen.

Anmerkungen

  1. Wohnsitz der Familie Oettingen-Wallerstein in Bayern

  2. Sammler früher Zeichnungen Kolbes aus dem adligen Bekanntenkreis der Familie Harrach

  3. Michelangelo Buonarroti (6.3.1475, Caprese – 18.2.1564, Rom), Maler, Bildhauer, Baumeister, Dichter

    http://d-nb.info/gnd/118582143
  4. Maria Fürstin zu Oettingen-Wallerstein, Person im Umkreis Georg Kolbes, ohne weitere Angabe