Inhaltsangabe
Zu Kolbes Aufenthalte mit Kurt Tuch in der alten Mühle bei Viechtach und zu seinem Aufenthalt in Waldheim im April. Zu Ausstellungen in Dresden und Berlin. Zu seinen Arbeiten und dem Verkauf von Zeichnungen. Kolbe bittet Harrach bezüglich eines Stipendiums in Paris um Rat.
Transkription
Aus meiner Mühle im
Regenthale.
Mai 98.
Hoch geehrter Herr Graf!
Um Briefe zu schreiben, muß man Stimmung
haben und diese fehlt mir, sonst hätten
Sie eher von mir gehört. Denn oft gedachte ich
Ihrer, und wie gerne wollte ich immer
Einiges mit Ihnen sprechen. Auch jetzt bin
ich noch entsetzlich zerstreut und leiste deshalb
keine Garantie für die Güte meines Schreibens.
Gegenwärtig sitze ich bei Lampenlicht nach einem
Tag angestrengter Arbeit in unserer Hütte, oder
Bude, oder wie Sie es nennen wollen und benutze
eben unser einziges Möbel, einen alten vom
Wurm zerfressenen Tisch, zum Schreiben.
Mein Kollege Tuch(1) liegt in der Hängematte
und liest, sonst ist außer einigen Koffern
und etlichem Kochgeschirr und einem jammer-
vollen Öfchen nichts zu sehen.
Wenn man einmal in unserer Bude gerade
stehen will, stößt man sich empfindlich an
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den Gehirnkasten. Die Wände sind aus Holz,
und die Ritzen sind nachträglich mit Moos
ausgestopft worden, sonst wäre es an Regentagen
vor Kälte nicht auszuhalten. 2 kleine Fenster-
chen führen den Blick hinaus in ein schönes
stilles Thal, was zum Regenflusse hinunter
läuft. Der eben beschriebene Raum ist unser
Schlaf- und Speisezimmer; es ist grauenhaft.
Aber wir besitzen einen noch gräulicheren, er
stellt unser Atelier vor. Ein Fenster im
Ziegeldach läßt ein famoses Oberlicht hinein.
Nur bei Regen darf man nicht arbeiten, da
wird das ganze Atelier naß. Der Wind pfeift
ohne Ausnahme durch jede Wand in diesen Raum.
Die Hauptsache aber vergaß ich zu sagen; das Ganze,
also diese beiden Käfige, ist eine alte Mühle,
deren Rad wir zum Stillstand brachten, indem
wir 100 Mark zahlten und dann einzogen.
Die schwersten Tage sind nun vorüber, und
seit Anfang dieser Woche wird flott gearbeitet.
Aber vorher war es erbärmlich. Die Mühle
glich einem alten Stall, man konnte da
einen unglaublichen Mist sehen. Höchst eigen-
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händig habe ich diesen Stall gescheuert. Heut ver-
stehe ich selbst nicht mehr, wie das möglich war.
Doch was thut man nicht alles für die Einsam-
keit? Es ist allerdings traurig, daß man diese
so schwer erkaufen muß.
Wie Sie wissen, wünschte ich ja in den Böhmer-
wald zu gehen, bin auch dahin gegangen, doch
oh Jammer. Eine alte langweilige, ausge-
trocknete Gegend fand ich, wo ich romantische
Wildnis zu finden glaubte. Auch schöne
Touristenwege schlängeln sich angenehm durch
die traurigen Kiefernwälder. Also, das war nichts
für mich. Da versuchte ich denn die Geschichte mit
dem Regenthale und war in der That
auch höchst erfreut über diese Gegend.
Saftige grüne Wälder, Felder und Wiesen
wechseln hier angenehm bis hinauf auf schöne
Höhen ab. Allerdings mit der Einsamkeit
hat es da seinen Haken. Volle 8 Tage durchstreiften
wir die hiesige Landschaft. Wohl gibt es hier sehr
viele allein stehende Häuschen, doch kein Bauer
wollte raus. Unsere alte Mühle kam wie ein
Retter in der Not. Übrigens ist sie 34 Jahr alt,
man sieht’s ihr aber auch bedenklich an.
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Sie ist also in einem schönen Thale gelegen
und mit Wald und Wiesen rings umgeben.
Unser Bauer, von dem wir sie mieteten, wohnt
zwar nur 4 Min. von uns entfernt, ist aber
außer dem Bereich unseres Gesichtskreises.
Wenn nicht seine Buben manchmal Briefe
an uns zu bringen hätten, bekämen wir
keinen Menschen zu sehen. Nach dem nächsten
Postorte ist eine Stunde Wegs, derselbe
ist der Endpunkt einer jammervollen
Localbahn. Während unseres 8tägigen
Aufenthaltes behufs der Forschungsreisen
sind wir in dem Nest berühmte, vielbesprochene
Personen geworden. Die Leute sind dort
ganz besonders garstig im Rückstand, natürlich
machen unsere Bauern keine Ausnahme.
Als wir die Mühle erstanden, wurde es uns eine
bedeutende Schwierigkeit, dem Besitzer ausein-
anderzusetzen, daß wir das Ding nicht zum
mahlen, sondern zum malen brauchten.
Aber genug nun hier von diesem Jammer-
zustande. Stellen Sie sich eine recht erbärmliche
Hütte vor, die in dn schönen Wiesen steht, dann
haben Sie das richtigste Bild von unsrer Mühle.
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2.
Dies war die Gegenwart, nun blicke ich aber erst
einmal in die Vergangenheit ein wenig zurück,
um zuletzt Einiges von der Zukunft ungestört
schätzen zu können.
Fast den ganzen Monat April habe ich im
Hause meiner Eltern zugebracht. Man
hatte sich dort sehr auf mein Kommen
gefreut. Viel sollte ich erzählen, doch Weniges
habe ich gesagt. Ich konnte nicht das sagen, was
man hören wollte, und die Gedanken, die ich
aus Paris mitgebracht hatte, verstand ich nicht,
in Worte zu fassen. Auch von Ihnen, lieber Herr
Graf, sollte ich viel erzählen, und manch schönen
Wunsch für Sie habe ich da aus dem Munde
meiner guten Eltern gehört.
Meine Ausstellung in Dresden verlief sehr
friedlich. Keine Kritik und keine Käufer.
Ich selbst konnte sie nicht besichtigen, doch ist alles
nach Aussagen meines Vaters sowie Bruder’s
in bester Ordnung verlaufen. Meine
Zeichnungen waren in einem Saal allein
ausgestellt, nur einige Studienköpfe von
Klinger(2) sind mit dagewesen.
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Einige Eseleien waren von der Kunsthandlung
mit der Versendung vorgekommen, wobei
mir sehr unangenehm war, daß dadurch Ihrem
geschätzen Herrn Schwager noch mehr Mühen
entstanden. Ich stand damals mit dem
Herrn Grafen in lebhaftem Briefwechsel,
bei welcher Gelegenheit ich Ihren Herrn
Schwager als einen vorzüglichen, feinen
Menschen kennen lernte. Die in Berlin
verkauften Kompositionen sind durch den
Herrn Grafen Vitzthum v. Eckstädt(3) dahin
gesandt worden und zwar Anfang Mai, da
vorher Ihre Frau Gräfin Mutter in Berlin
nicht anwesend war. Sehr erfreut war ich auch noch,
von Keller und Reiner(4) zu hören, daß in seiner
Ausstellung durch Herrn Baron von Manteuffel
noch zwei Zeichnungen von mir angekauft
wurden („Petrus“, „Abend“). Ich hoffe, daß
jetzt alles in die Hände der Käufer gelangt ist.
Von einem Kollegen, den ich zufällig in
Dresden später traf, erfuhr ich, daß damals in
Breslau eine höchst bedenkliche Kritik meiner
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Berliner Ausstellung erschienen sei. Leider
war die Zeitung nicht mehr zu haben.
Diejenigen Bekannten, die in Dresden meine
Ausstellung sehen sollten, haben mir allerdings
sehr wenig Freude bereitet. Man hält mich allge-
mein für verloren, nur meine Eltern glauben
mir. In Dresden hat sogar jemand mir in’s
Gesicht gesagt, daß er die von Ihnen angekaufte
Zeichnung als eine „Schändung“ des Heine’schen Gedichts anschähe ansähe, die beiden Daliegenden hielt er
für zwei durch Alkoholgenuß Krepierte. Ist das
nicht herrlich?
Das sind Sachen, die sehr bedrücken müssen, wenn
ich auch mich deshalb keineswegs beeinflussen lasse.
Ich kann ja doch auch gar nicht anders arbeiten.
Nächstes Jahr möchte man mich vielleicht gar schon
in’s Irrenhaus bringen. Doch bin ich eben noch
im Zweifel, wer die Blöden sind, die so denken
wie ich oder jene Jammerseelen?
Soviel steht fest, daß ich diesen Sommer gewaltig
arbeiten will. Ich bin gerade so recht gefüllt.
Vor einigen Tagen habe ich mein erstes Bild angefangen.
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Es behandelt wieder den Vorwurf „Das Land
unseres Sehnen’s“. Ich bin noch beim Malen,
aber es zwickt mir in allen Gliedern.
Das Zeichnen werde ich auch noch tüchtig fortsetzen,
und dann hoffe ich ebenfalls, das Modellieren
versuchen zu können. Da können Sie fest
daran glauben, daß es mächtig losgeht. Wenn
wir uns wiedersehen, werden Sie sich überzeugen
können. Mein Kollege Tuch will ausschließlich
landschaftern.
Eine Sache möchte ich hier noch zur Sprache bringen.
Einst fragten Sie mich in Paris, ob ich wohl ein
Stipendium haben möchte. Jetzt gestatte ich mir,
Sie zu fragen, ob es wohl die Möglichkeit für
mich gäbe, ein Solches zu erlangen, ohne die Freiheit
zu verlieren? Bester Graf, Sie wissen gut, daß
ich nicht viel Geld für meine Person beanspruche, doch
für meine Kunst muß ich das Möglichste thun.
Mit Sorgen arbeitet es sich bedeutend schwerer.
Bitte verzeihen Sie mir, daß ich so frei mit
Ihnen darüber spreche, doch Sie verstehen mich.
An wen sollte ich mich auch anders wenden
als an Sie?
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3.
Sind Sie doch einer von den wenigen, die außer
einem großen Einfluß noch das weit Bessere,
ein großes Herz besitzen. Ich meine überhaupt,
es werden soviele Stipendien unnütz vergeben,
daß ich aber dann mindestens auch einer solchen
Sache wert bin. Meinen Eltern kann und
darf ich nicht mehr zur Last fallen.
Ob ich im kommenden Winter wieder Paris
aufsuchen werde, ist jetzt schwer zu sagen. Meine
Zeit ist kostbar und deshalb muß ich mir jeden
Fall genau überlegen. Soll ich nocheinmal in
solch einer Dreckbude wohnen wie vergangenen
Winter? Dazu habe ich nur wenig Lust. Doch würde
ich dies auch noch thun, wenn ich wirklich meinem
Studium dadurch etwas nützen könnte. In
eine Schule möchte ich nicht mehr gehen, und Modell
allein halten ist mir natürlich viel zu kostspielig.
Einen oder mehrere Collegen dazu zu finden, ist
bekanntlich sehr schwer. In Deutschland möchte ich ja
auf keinen Fall bleiben, mir geht noch Florenz
oder Rom sehr im Kopf herum. Ein Jahr dort
zu leben und zu arbeiten, wäre sehr schön, doch
kommt auch dort diese vermaledeite Modellgeschichte
in Rechnung. Aber bis zu dieser Zeit ist’s ja noch
lange.
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Jetzt ist die Hauptsache mächtig arbeiten. Wenn
alles gut geht, möchte ich kommenden Winter
wieder ausstellen, und vielleicht habe ich Glück
mit dem Verdienen, dann steht mir ja wieder die
ganze Welt offen. Das selbst erworbene Geld
ist doch wohl angenehmer zu verbrauchen, und deshalb
geht es mir jetzt auch sehr wohl, doch wird diesen
Sommer in der Hitze viel zusammenschmelzen.
Das Material lichtet die Reihen ganz niederträchtig.
Mein nächster Pariser Aufenthalt wird sich
auch viel mit nach den Leuten richten, die von
meiner Bekanntschaft dann dort sind. Zunächst
fände ich es sehr schön, wenn Sie noch da weilten,
was aber wohl sehr unbestimmt ist. Linde will
auch nicht wiederkommen, ob Derleth(5) noch da
sein wird, weiß ich nicht, und so bedenklich ist es
auch mit anderen Bekannten.
Aber das muß ich gestehen, daß Paris mir viel gebracht
hat, und es wird wohl bald so sein, wenigstens für
Leute wie mich, daß man in keiner Stadt so
arbeiten und vorwärts kommen kann als in
Paris. Doch nun genug davon.
Wie leben Sie jetzt dort, bester Graf?
Arbeiten Sie wohl noch in der Akademie Julian(6)?
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Und welche mir bekannte Personen sind noch
zugegen? Bitte schreiben Sie mir doch Einiges.
Besonders interessiert mich aber Ihre künstlerische
Thätigkeit. Komponieren Sie öfter? Ich glaube,
daß Sie einen bedeutenden Fortschritt gemacht
haben werden, wenn wir uns einmal wiedersehen.
Sie waren immer so fleißig, das freute mich
ganz besonders. Haben Sie den Salon besichtigt?
Bitte geben Sie mir nur recht bald Antwort.
Lange werden Sie doch wohl auch nicht mehr in Paris
weilen, Sie sprachen doch vom Militär, und
jedenfalls gehen Sie auch nach der Schweiz.
Wenn Sie nach Deutschland kommen, sollten
Sie mich einmal in meinem Winkel aufsuchen.
Von Regensburg braucht man nur 3 1/2 Std. mit
der Bahn. Ich käme aber auch ganz gern in irgend
eine nicht allzu entfernte Stadt, durch welche
Sie vielleicht die Reise führte.
Was glauben Sie, ich bin jetzt, oder vielmehr war noch
vor wenig Tagen, Besitzer einer großen Tigerdogge,
und dieses dumme Geschöpf ist mir davon gelaufen.
Allerdings setzte es unter meiner Herrschaft etwas
arg viel Prügel. Ich hoffe noch, daß ich den Hund
wiederbekomme. Ich ließ es in die Zeitung setzen.
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Lieber Graf, jammervoll ist allerdings dieses
Schreiben, doch entschuldige ich mich gar nicht erst,
verbrochen habe ich es doch. Ich bin eben noch
furchtbar zerstreut. Später hoffe ich, Schöneres
schreiben zu können. Die Hauptsache, von
der ich mit Ihnen sprechen will, ist ja doch die Arbeit,
und da kann ich jetzt noch nicht viel sagen, es ist
eben noch nichts recht fertig und von löblichen
Vorsätzen ist schlecht zu schreiben.
Also noch einmal die Bitte, erfreuen Sie mich
recht bald mit einer Antwort.
Die noch in Paris lebenden Bekannten
grüße ich bestens, besonders aber seien
Sie, verehrtester Graf, herzlichst gegrüßt
von Ihrem ergebenen
Kolbe.
z. Zt.
b/Joseph Preiss
auf Ehrenhof
Postort Viechtach
Bayr. Wald.