Transkription

Lieber Kolbe,

als ich Sie das letzte Mal in
Berlin traf, begingen Sie Ihren 65ten Geburtstag! Damals ahnten Sie und ich
noch nicht, unter welch katastrophalen
Verhältnissen Sie Ihren 70ten erleben
sollten. Und trotzdem rufe ich Ihnen
meine besten Wünsche zu diesem Tag aus
weiter Ferne zu. Scheibe(1) schrieb uns vor ei-
nigen Tagen u. ebenso Liselotte Specht(2), daß
Sie wieder bei Sauerbruch in der Klinik seien.
Als ob's nicht gerade genug wäre mit dem,
was wir alle mehr oder weniger durchgemacht
haben – nein – da wird man auch neben dem
Seelischen noch körperlich gepeinigt. Es tut
mir besonders leid, [dass ich] Ihnen an dem Tag, an
welchem Sie auf ein stolzes und großes Lebens-
werk zurückblicken können, nicht mit froherem
Sinn entgegenkommen kann, sondern Sie
nur meiner wärmsten Teilnahme an Ihrem
Mißgeschick versichern kann.

Aber etwas Sonne wird Ihnen doch an
diesem Tage beschert werden und ihm Glanz

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verleihen! Es ist das Gefühl, daß Sie
der Menschheit mit Ihrem Werk ein Geschenk
gemacht haben, woran sie sich dauernd er-
freuen kann. Und diesen Glauben kann
Ihnen keiner rauben, sowie überhaupt die
höheren Güter dieses Lebens einem niemand
nehmen kann. Das ist das große Positivum,
warum sich's immer noch lohnt zu leben.

Ich habe Alles verloren. mein ganzes
Hab und Gut, und bin glücklich, hier oben in
der herrlichen Natur in einer reinen
Atmosphäre leben und wieder arbeiten
zu können. Ich sehe keine Ruinen – nur
die jetzt wieder erwachende Natur – den
Frühling.

Mögen Sie bald wieder gesund wer-
den, lieber Kolbe und wieder zu Ihrer
Kunst kommen – dies wünsche ich Ihnen
von ganzem Herzen u. mit mir meine
Frau und die ganze Familie.

Ihr alter Freund
Fritz Klimsch