Transkription

Hirahof, 17.9.47

Lieber Kolbe, schon lang wollte
ich Ihnen einmal wieder schreiben und dan-
ken für Ihre freundlichen Worte, die Sie Ihrem
meisterhaft geformten Druck für die Gratu-
lationen zu Ihrem 70ten Geburtstag beigefügt
haben. Es bleibt eben so oft bei den guten
Vorsätzen im Leben, besonders heutzutage, wo
man den Kampf um seine Existenz bestehen
muß, und selbst hier oben in der herrlichen Na-
tur und dem seit 3 Monaten über uns
strahlenden blauen Himmel doch nicht zu
der inneren Ruhe kommt. – Ich wollte
mich vor allen Dingen nach Ihrem Befinden
erkundigen, Sie armer geplagter Mann.

Daß Sie auf lange Zeit nicht arbeiten kön-
nen, was für uns Künstler doch die einzige
Freude bereitet, bedauere ich tief, und ich wür-
de mich freuen, wenn Sie mir von einer
Besserung Ihrer Lage Mitteilung machen könn-
ten. Man hört von Berlin so verschiedene
Urteile, wie es dort zu geht, daß man sich kein
richtiges Bild von den Zuständen machen kann.
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich in
kurzem darüber aufklären könnten, denn
noch immer hänge ich mit allen Fasern an dieser
Stadt, in der ich fast 60 Jahre gelebt und ge-
arbeitet habe. Von all den alten Freunden ge-
trennt u. leider auch ohne Nachricht seit lan-
ger Zeit, z. B. von Scheibe(1), Pechstein(2) u. Andern
vermißt man bitter jegliche Aussprache über

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das, was uns besonders bewegt. Ich bedauere
es jetzt sehr, daß wir beide uns im Leben
nicht näher getreten sind – weiß der Teufel
warum! An mir lag es nicht – eher an Ihrer
Zurückgezogenheit, in die Sie sich zogen, um
ganz Ihrer Kunst zu leben. Ich bin ganz an-
ders in meiner Einstellung zum Leben und
zu den Menschen – ich möchte immer Fühlung
haben und mich aussprechen; ich habe mich
immer interessiert für das, was die Andern
schufen, habe es auch immer mit der Jugend
gehalten und bin dadurch auch selbst bis
jetzt in gewissem Sinn jung geblieben; ich freue
mich, wenn ich jetzt hier oben sogar so manchen
Besuch von jungen Künstlern bekomme, die
mich um Rat fragen. In Berlin werde ich von
neidischen Kollegen verschrieen als Bildhauer
des Prop.Ministeriums(3) [Propaganda-Ministeriums]!! So schrieb mir vor ei-
nem Jahr Herr Lemmer vom Rembrandt-Verlag(4).

Trotz allem bin ich nicht „totzukriegen“, sondern
schaffe weiter und kümmere mich den Teufel
um alles Gerede. Was wundervoll u. bleibend an
unseren Werken ist, wird die Zukunft entschei-
den und nicht die jeweilige Mode eines Zeit-
abschnitts und die Krankheiten, die jeder ver-
lorene Krieg leider auch in der Kunst mit sich
bringt. Man liest in den Zeitungen nur immer
zwei Namen: Picasso(5) u. Thomas Mann(6) – das
ist bezeichnend für die Zeit!

Mit herzlichen Grüßen und guten Wünschen
für Sie, auch von meiner Frau, bin ich
in alter Verbundenheit Ihr

Fritz Klimsch

Anmerkungen

  1. Scheibe, Richard (19.4.1879, Chemnitz – 6.10.1964, Berlin), Bildhauer und enger Freund von Gerhard Marcks und Georg Kolbe

    http://d-nb.info/gnd/118754327
  2. Pechstein, (Hermann) Max (31.12.1881, Zwickau – 29.6.1955, Berlin-West), Maler, Grafiker

    http://d-nb.info/gnd/118592335
  3. Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, errichtet am 13.3.1933.

    http://d-nb.info/gnd/40239-4
  4. Rembrandt-Verlag, ansässig in Berlin,1923 – 1994, gegründet durch Konrad Lemmer. Im Rembrandt-Verlag war 1933 das Buch "Vom Leben der Plastik" von Rudolf G. Binding zu Georg Kolbes Werken erschienen.

  5. Picasso, Pablo (25.10.1881, Málaga – 8.4.1973, Mougins), Maler, Grafiker, Bildhauer

    http://d-nb.info/gnd/118594206
  6. Mann, Thomas (6.6.1875, Lübeck – 12.8.155, Zürich), Schriftsteller

    http://d-nb.info/gnd/118577166