Transkription

Lieber Herr Kolbe!

Zu meinem Bedauern hat sich meine
Antwort, welche sogleich Ihren Zeichnungen
hätte folgen sollen, ungebührlich hinaus ge-
zogen, sodaß ich Sie deshalb sehr um Ver-
zeihung bitten muß. Ihre Zeichnungen
habe ich der Verständigung halber mit
kleinen rothen Nummern bezeichnet,
und zwar No 1 als dasjenige gemeint,
welches mir am besten gefiel und herab
bis zu No. 4. Wenn es Ihnen möglich ist,
ein intelligentes Modell zu bekommen,
welches im Stande wäre, die Neugierde
und zugleich die jungfräuliche Scheu vor
dem Frosche darzustellen, so glaube ich,

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daß Sie am weitesten kämen und
sich auch am schnellsten selbst klar zu
werden vermöchten über die zu wählende
plastische Bewegung, die zugleich schön
und ausdrucksvoll sein könnte. An
dem Gedanken des Froschprinzen würde
ich vor der Hand festhalten, weil ich
glaube, daß es ein außergewöhnlich
günstiges und viel Mannigfaltigkeit
zulassendes Motiv ist. Dazu kommt,
daß im Märchen der Froschprinz dazu
kommt, als die Prinzessin ihren gol-
denen Ball in den Brunnen fallen
gelassen hat, so daß der Frosch durch
Zurückbringen des Balles anknüpfen
kann. Ich bitte sich zu überlegen,
ob der Moment des Wiederbringens

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des Balles nicht allem Anderen vorzu-
ziehen sein dürfte, weil der Kampf er-
freuter Dankbarkeit mit dem Abscheu
vor dem Amphibium einen sehr netten
Kontrast in Bewegung und Zügen
der Prinzeß böte. Ich bin hier in Berlin
allein, da meine Frau mit meiner
etwas leidenden jüngsten Tochter am
Lido bei Venedig sich aufhält, mich
hält hier ein tägliche Sitzungen erfor-
derndes Porträt etwa noch bis Mitte
Juni, später bin ich hoffentlich mit
Weib und Kind in Tiefhartmannsdorf
b. Schönau (Katzbach) Schlesien.
Sollten Sie mir hierher noch etwas von
plastischen Skizzen schicken wollen, so
müßten Sie es innerhalb 14 Tagen

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thun, später nach Tiefhartmannsdorf.
Ich wünsche Ihnen von Herzen, daß Ihnen
ein plastischer Entwurf(1) gelingen möge,
den zu sehen mich sehr verlangt.

Mit bestem Gruße

Ihr
ergebener
F Graf Harrach

Berlin
29.5.1902.

Anmerkungen

  1. Werk Georg Kolbes, Badende (Brunnenfigur für Ferdinand Graf Harrach), 1902, s. Hermann Schmitt: Georg Kolbe, in: Zeitschrift für Bildende Kunst, Januar 1904, S. 81 f., Abb. S. 82