Transkription

[Typoskript]

Erich Bode, Berlin N. 65, den 21. August 1946
Ofener Str. 13.

[handgeschrieben:] Abschrift

Herrn
Professor Georg Kolbe
Berlin Charlottenburg
Sensburger Allee 25

Sehr verehrter Herr Professor!

Im Nachstehenden gebe ich Ihnen einen Bericht über
das Schicksal Ihrer Plastik "die Knie{Sitz}ende".

Als die Wohnungen der Juden nach deren Vertreibung
vom Staat beschlagnahmt worden waren, wurden sämtliche Wohnungs-
einrichtungsgegenstände bekannten Berliner Auktionsfirmen zur Ver-
fügung übergeben. In diesem Falle kamen alle Gegenstände ein-
schließlich der Figur zu der Auktionsfirma Alfred Berkhahn(1), Ber-
lin W 50, Spiechanstraße [Spichernstraße] 3. Nachdem genügend Auktionsmaterial
sich angesammelt hatte – auch von privaten Auftraggebern – fand
die Versteigerung statt, die, wenn ich mich recht entsinne, 1937
oder 1938 war.

Ihre Plastik stand, da sie sehr schwer war, in der
linken Hofecke des Versteigerungsgrundstückes, Spiechanstraße 3.
Das Auktionslokal waren die früheren Spiechanfestsäle [Spichern-Festsäle], die nur
vom Hof aus zu erreichen waren. Der Schulrat i. R. Alfred
Tschentscher(2)
, Berlin-Tempelhof, Manfred von Richthofen-Straße 192,
besuchte zufälligerweise an dem Tage der Versteigerung die Firma
Berkhahn. in Begleitung von ihm war sein mir nicht bekannter
Freund. Hier auf dem Hofe entdeckte Tschentscher – ein wohlha-
bender Herr, und fanatischer Kunstsammler – die in der Ecke ste-
hende, verschmutzte Plastik. Den Wert erkennend, beauftragte er
seinen mitgekommenen Freund, für alle Fälle sofort auf der Ver-
steigerung für ihn diese Plastik zu erwerben. Unterdes stellte
Tschentscher nach Entfernung von Laub und Dreck fest, daß es sich
um eine Arbeit Ihrer Meisterhand handelte. In diesem Augenblick
kam de Freund aus der Auktionshalle heraus und sagte T., daß er
soeben diese Figur für sich erworben hätte und zwar für 3.-
Reichsmark.

Eine

Seite 2

eine erregte Auseinandersetzung folgte über diesen Vertrauens-
bruch. Schließlich einigten sich beide auf der Basis, daß
Tschentscher seinem Freunde für die Plastik als Gegenwert
ein kleines Ölgemälde eines holländischen kleinen Meisters als
Tauschgegenwert gab, damit dieser zufrieden war.

Diese Figur stand nun einige Jahre auf dem Grund-
stück von Tschentscher in Tempelhof in der Manfred von Richt-
hofen-Straße 192. Durch die Kriegsereignisse veranlaßt, vor
allem um einer Vernichtung durch feindliche Bomben vorzubeugen,
verkaufte Tschentscher die Figur etwa 1940 an einen Berliner
Kunsthändler, der leider nicht zu ermitteln war. 1941 ver-
starb Tschentscher im Schwarzwald an Herzschlag.

Eine Nachfrage bei seiner Schwester, die dem ledi-
gen Tschentscher die Wirtschaft führte, xxx {und} bei seinem Bruder,
einem Ingenieur, hatte leider auch keinen Erfolg. Die Schwe-
ster erlitt zudem vor einiger Zeit einen Schlaganfall und
wohnt jetzt nicht mehr in diesem Hause.

Sehr befreundet war Tschentscher mit dem Kunsthänd-
ler Gurlitt(3); es könnte vielleicht sein, daß dieser der Käufer
der Figur gewesen ist. Der berliner Maler Heinrich Heuser(4)
sagte mir, daß er Gurlitt in Bad Aussee in Österreich ge-
troffen habe, der dort ein Anwesen habe.

Weitere Ermittlungen von mir verliefen trotz al-
ler Anstrengungen ohne jeden Erfolg.

Ich glaube sehr verehrter Herr Professor, daß Ihnen
mit diesen ausführlichen Angaben irgendwie gedient ist. Es
tut mir leid, nicht mehr erreicht zu haben.

Mit den besten Grüßen

Ihr sehr ergebender

Nachschrift:
Kurze Zeit nach dem geschilderten
Vorfall bei Berkhahn wurde dieser von verschiedenen Seiten da-
nach gefragt, wie solch ein niedriger Verkaufspreis überhaupt
möglich sei. B. erklärte, er sei der Meinung gewesen, die Fi-
gur bestände aus Gips und, um sie los zu sein, hätte er aus Un-
kenntnis der Sachlage bei 30.- Reichsmark den Zuschlag erteilt –.
Andere Interessenten gingen an dieser abgestellten Figur acht-
los vorbei, ohne ihren Wert zu ahnen.

Anmerkungen

  1. Alfred Berkhan, Auktionshaus für Kunst und Mobiliar, Hotel- u. Geschäftsinventar, Berlin, Spichernstr. 3

  2. Tschentscher, Alfred, Lehrer, Sozialdemokrat, von 1920 – 1931 Vorsitzender Berliner Lehrerverbandes, ab 1925 (– ?) zweiter Vorsitzender des Deutschen Lehrervereins (Quelle: Jürgen Oelkers: Quo vadis Reformpädagogik? Vortrag auf dem Arche Nova-Kongress am 15. Oktober 2011 in Bregenz, Universität Zürich, Homepage Oelkers, Vorträge 2011; link: http://www.ife.uzh.ch/de/research/emeriti/oelkersjuergen/vortraegeprofoelkers/vortraege2011.html

  3. Gurlitt, Wolfgang (15.2.1888, Berlin – 26.3.1965, München), Kunsthändler, Galerist, Verleger

    http://d-nb.info/gnd/116930802
  4. Heuser, Heinrich (12.10.1887, Stralsund – 13.9.1967, Berlin), Maler, Grafiker, Bauten und Kostüm für Film

    http://d-nb.info/gnd/134217306