Transkription

[18.04.21, Datum nach Poststempel]

Nun muß ich Ihnen doch sagen,
d. h. schreiben, was ich nicht wagte
zu sagen, aus Furcht, lächerlich zu
erscheinen, weil ich
als Jüngere dem Älteren Rat geben will.
Legen Sie sich hin, breiten Sie
die Arme aus, nehmen Sie den
ganzen Plunder Sorgen und
Leiden in sich, innig, mit all
ihrer Schwere, lassen Sie toben,
was die Kraft dazu hat.
Daraus kommt das innigste
Insichsein, die fruchtbare Einsamkeit.

Seite 2

Das schlimmste Leiden ist: das Sich-
wehren gegen das Leiden.

Nun möchte ich mich noch von dem
Verdacht reinwaschen, sehr bescheiden
zu sein, eine Eigenschaft, die mir
schon öfter unterschoben wurde.
Es wird nicht genügen, wenn
ich sage, daß ich ein Reitpferd
haben will, und daß die Wüste
meine innerlichste Sehnsucht ist.

Mein ist alles, was ich lieben kann,
und das ist so viel, daß ich
bescheiden bin vor der Fülle.

Die Furcht vor dem Altwerden
ist die Furcht vor dem Verlieren,
vor dem Leerwerden.

Seite 3

Laß die Moleküle rasen,
was sie auch zusammenknobeln!
Laß das Tüfteln, laß das Hobeln,
heilig halte die Ekstasen!

[von anderer Handschrift zugefügt] {Galgenlieder(1) (Morgenstern)}

Und sie kommen!

Ihre
Bertel Uhlenburg.

Anmerkungen

  1. Gedichtband von Christian Morgenstern, erschienen 1905 bei Bruno Cassirer