Transkription

29.1.32.

Lieber Kolbe!

Wir immer recht spät danke
ich Dir herzlich für den mir mit-
geteilten beiliegenden Brief
und für Deinen Artikel aus
dem Tageblatt. Ersterer hat mir
sehr große Freude gemacht. Ich
sehe daran, daß das Schreiben
doch einen Sinn hat, nämlich
den, Gleichgesinnte zu ver-
sammeln. Wie nötig das heut-
zutage geworden ist, geht ja
aus deinem Artikel genug-
sam hervor. Ich habe ihn in
mehreren Exemplaren Leuten zu
lesen gegeben, die er angeht.

Man lacht, man findet ihn
gut, aber man fühlt sich weder
getroffen noch verantwortlich
noch auch beleidigt. Unser
Staat, wie er ist, hat auch in

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Wahrheit keine Verpflichtung
und nicht einmal das Recht,
auf künstlerische Forderungen
einzugehen, die keine furcht-

erregende Masse hinter sich
haben. Lassen wir uns bei Herrn
H.H. [Hans Henny] Jahnn(1) Drehangeln bauen.

In Rührung ist immer noch
Nachfrage. Den allgemein ver-
ständlichen Begriff des Wol-
ergehens hat Groß(2) gut heraus-
gebracht. Ein sehr gebildeter
Herr frug mich darauf hin,
ob es Groß wirklich noch so
gut gehe. Im Notfall wird man
Dir Deine derzeitige Absage
einer Akademieprofessur vor-
halten. Die Konsequenz wäre
also, die Aufhebung der
Kunstschulen zu fordern.
Auch ich würde mich unbe-

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dingt dafür einsetzen, wenn
dabei die frei werdenden Mittel
für Stadtaufträge sicher ge-
stellt werden könnten, und
diese nicht nach Maßgabe der
Bedürftigkeit und als Bettel-
happen verteilt würden. Wie
aber wäre das zu erreichen?

Der Reichsverband bildender
Künstler will sich, einem um-
laufenden Fragebogen nach
zu urteilen, der Sache an-
nehmen. Ich fürchte, er wird
das Kind mit dem Bade
ausschütten. Andere als die-
se gut bürgerliche Interessen-
gruppe müßten sich der Sache
annehmen.
Noch über einen anderen
Brief, der mir auf den Auf-

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satz über Dich hin geschrieben
wurde, habe ich mich sehr ge-
freut. Er stammt von einem
namens Andreas Moritz(3).

Falls Du etwas über ihn weißt,
wäre ich Dir für eine kurze
Angabe dankbar, was er ist.
Der Schrift nach ist er mit Plast-
ik befaßt. Er schreibt aber
nichts darüber. So ist es für
mich schwierig, den Brief
geziemend zu beantworten.
Ich komme voraussicht-
lich Ende Februar mal
nach Berlin.

Verzeihe den langen Seich.

Herzlichen Gruß

Dein
Scheibe.

Anmerkungen

  1. Jahnn, Hans Henny (17.12.1894, Stellingen – 29.11.1959, Hamburg), Schriftsteller, Publizist

    http://d-nb.info/gnd/118556673
  2. unbekannte Person

  3. Moritz, Andreas (16.01.1901, Halle (Saale) – 15.2.1983, Würzburg), Silberschmied, nach 1952 Lehrer und Professor an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg. Mitarbeit am Rathenau-Brunnen Georg Kolbes (errichtet 1930)

    http://d-nb.info/gnd/118820923