Transkription

Stuttgart 6. 7. 30

Lieber verehrter Kolbe, der Kopf(1) ist da
und ich selbst u. die, die mir nahe stehen
und mich ganz gut kennen, sind
begeistert von dem Werk „wieviel vom
Wesen an die Oberfläche gebracht wäre, bei so
kurzer Bekanntschaft...“. Meine Tochter, die
den Vater im allgemeinen von einer ver-
gnügten Seite kennt, meint dem Ernst
gegenüber, sie könne die Empfindung
der Damen Henkell(2), von der Sie mir erzählten,
nachfühlen. Was ich anstaune, ist, daß
aus einem so undankbaren Vorwurf eine
Plastik geworden ist, die aber gleichzeitig so
lebendig ist. Wenn man den Kopf eine ruhige
Weile anschaut, dann atmet er beinahe,
und blickt. Und wenn man dann in
der Nähe untersucht, womit eigentlich der
Augenausdruck gemacht ist und im
linken Auge des Kopfes die zufälligen Krümel
sieht – so siehts wenigstens ganz in der Nähe
aus – so wird einem das wie der Mittel immer
unklarer.
Ich denke daran, mit welcher langen
Anspannung Sie sich mit mir geplagt haben,

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– es war wirklich nicht so, daß es von selbst
gegangen wäre – ich freue mich ungeheuer,
das Werk zu haben, und dementsprechend
ist meine Dankbarkeit.

Ich freue mich, daß ich Sie in Berlin
wieder besuchen darf, vorläufig ist zu
einer Reise noch kein Anlaß da, hoffentlich
habe ich dann auch die Freude, Ihre Frau Tochter(3)
zu sehen, nicht nur den schönen Hund.

Herzlich Ihnen alles Gute
Ihr P. Bonatz

Anmerkungen

  1. Werk Georg Kolbes, Porträt Paul Bonatz, 1930

  2. Paul Bonatz war der Architekt für den neuen Firmensitz der Sektkellerei Henkell in Biebrich am Rhein. Georg Kolbe porträtierte 1926 den damaligen Firmeninhaber Otto Henkell sowie seinen Bruder Karl. Die Porträts befinden sich in der Eingangshalle des Hauptgebäudes.

  3. Leonore, Tochter Georg Kolbes (19. 11.1902, Leipzig - 28.06.1981, Berlin)