Transkription

La Varalda
Ascona˗Locarno
27.5.29

Lieber Kolbe,

leider habe ich Sie nun in
Berlin nicht mehr gesprochen – aber ich
war zu passiv geworden, dazu so mit-
genommen von dieser leidigen Bauchaffäre,
dass ich mich nachher schon ziemlich
willenlos von meiner Fracht [Frau] hierher ver-
frachten liess. Hier scheint es langsam
besser zu gehen. Wir wohnen ganz ausser-
halb Ascona[s] unter lauter Grün in
einem Häuschen allein mit eigenem Ab-
stieg zum See u. merken von allem, was
Ascona heisst, hier nichts. Es ist weiche,
warme Luft, u. es ist alles so etwas
an der Grenze des Unwahrscheinlichen –
augenblicklich mir sehr wohltuend.

Etwas aufgeputscht wurde ich erst,

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als ich dieser Tage in der Zeitung las,
die Sec.[Secession] mache doch die Picasso(1) Ausst.[Ausstellung].
Das hat mich nun veranlasst, der Sec.
einen Brief durch den Rechtsanwalt über-
geben zu lassen – denn die Bande hält
den Anschein, ich sei im Vorstand aufrecht.

Ich hatte noch in B.[erlin] näheres über P.[Picasso] gehört.
Rosenberg(2) soll so gut wie nichts mehr von P.
verkaufen. Reber(3), der mit 70 P.'s stark in-
teressiert ist, soll schon die Absicht gehabt
haben, einen Kunstladen in Paris aufzu-
machen. Unser Carl Einstein(4) lebt in
Paris, hat schon die deutsche Sprache ganz
vergessen u. giebt eine Zeitschrift heraus –
finanziert von Reber u. Rosenberg – jeden-
falls ist Holland in Not – u. da sollen
die dummen Boches wieder mal gut genug
u. dumm genug sein, den Herrschaften ihre
Moneten zu retten. Rosenberg muss alles

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von P. kaufen u. soll mächtig drinhängen.

Wenigstens will ich der Sec. nun
den Knüppel zw.[zwischen] die Beine werfen –
es wird nichts nützen, aber ihnen
doch augenblickl. nicht angenehm
sein.

Schade, dass ich nun von Valentiner(5) nichts
sehen werde – es tut mir sehr leid. Grüssen
Sie ihn wenigstens recht herzlich von
mir. – Dieser Waschlappen von Pech-
stein(6)
, der damals so heftig mit
gegen die Pic.ausst. gesprochen
hat – u. sie nun mitmacht!

Leider – leider ist in Berlin garnichts,
wo man mal ansetzen könnte – vom
Künstlerbund hörte ich auch nichts, wie
die Ausst. ausgefallen ist – wissen
Sie etwas davon. – Wenn Sie mal

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Zeit haben – lieber Kolbe – lassen Sie
mal hören, wie's Ihnen geht.

Herzlichsten Händedruck von
meiner Frau auch u.

Ihrem
SRottluff