Transkription

Am 25. Mai
1925.

Sehr verehrter Herr Professor!

Sie müssen bitte nicht ungeduldig werden –
wenn Sie nun schon wieder ein Brief
aus München erreicht. – Aber Ihre
Liebenswürdigkeit zwingt mich eben dazu,
Ihnen vielen Dank für all die Überraschun-
gen zu sagen, welche mir Ihre Antwort
brachte. – Nun liegt Ihr Bild bei all den
vielen Photographien, die ich im Laufe der
letzten fünf Jahre gesammelt habe – und
es ist zweifellos für mich immer wieder ein
innerstes Glücksgefühl,- zu wissen,- daß
ich Sie kennen lernen durfte. –

Für Ihre Kritik war ich Ihnen unendlich
dankbar; ich hätte Sie am liebsten darum
gebeten – aber der Gedanke –zudringlich zu er-
scheinen, hielt mich immer wieder davon
ab. – Und Ihre Photographien brachten mir
viel mehr Freude, als Sie wohl vermuten;-
sie brachten den Kolbe, den ich am

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meisten bewundere und liebe,- den Bildhauer,
der es versteht wie kein anderer, Leiber zu
formen, die von einer so zauberhaften Fein-
heit sind – daß man an die schönsten
Blumen denken muß,- die man je
gesehen hat. –

Ich weiß nicht, was ich an Ihren letzten
Arbeiten mehr bewundern soll – die
Põesie,- den Rýthmus oder diese feinste
Skala von Licht und Schatten! Nein!

Verzeihen Sie,- Herr Professor, – aber ich
muß es offen sagen, ich habe einen
großen Eindruck von Ihren vorigjährigen
Arbeiten(1)
gehabt – ich weiß – wie selten man
Künstler findet denen es gelingt – Kraft und
Wucht in eine Bewegung zu bringen; ich
weiß noch immer – als wäre es gestern
gewesen, wie ich vor diesem jäh in die Höhe
schießenden Jüngling(2) zurückge-
prallt bin, als ich in Ihren Saal trat; aber
später, im Kaiser-Friedrich-Museum(3)
– als ich Ihre Tänzerin(4) sah – war ich
doch ein bischen traurig. Und jetzt sind

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Sie wieder einmal Poet – ach! Ich
freue mich – freue mich noch einmal
und noch einmal und noch viele „Male“
dazu;- denn ich fühle im Innersten,
daß Sie darin am größten sind. Diese
Art Ihrer Kunst ist an wärmsten, am
bezwingendsten und am beglückendsten.
Nun werden Sie mir vielleicht böse sein.
Sie werden denken – ich hätte vergessen,
den Abstand zu halten,- den ich zu beachten
hätte. – Es wäre mir arg, wenn Sie so
denken könnten. – Ich habe lange
Tage hin und her überlegt: Soll ich
– soll ich nicht – und heute sagte ich
es einfach doch! – –

Eine Zeitungsnotiz berichtet von Ihrer
und Haller(5) Beschickung(6) der Alten
Sezession(7)
. – Damit wird sie wohl dieses
Jahr das Übergewicht über die Neue
Sezession(8)
wieder erlangt haben. –
Großartig hat der Hahn(9) das gemacht.
(Er hat nämlich immer noch Ihren
Katalog!)

In tiefster Verehrung!

Ihr Romeis.

Anmerkungen

  1. Frühjahrsausstellung der Akademie der Künste, Berlin 1924. Hier hatte Georg Kolbe einen eigenen Raum.

  2. Werk Georg Kolbes, "Verkündung", 1923/1924

  3. Kaiser-Friedrich-Museum, 1956 in Bode-Museum umbenannt. Es ist wegen der speziellen Ausrichtung des Bode-Museums unwahrscheinlich, dass die "Tänzerin", die Eigentum der Nationalgalerie war, dort ausgestellt wurde.

  4. Werk Georg Kolbes, "Tänzerin", 1911/12, 1912 für die Berliner Nationalgalerie erworben.

  5. Haller, Hermann (24.12.1880, Bern – 23.11.1950, Zürich), Bildhauer

    http://d-nb.info/gnd/118545167
  6. Ausstellung der Münchener Secession innerhalb der Münchener Kunstausstellung im Glaspalast (von Mai bis Oktober 1925), in der zwei Werke von Hermann Haller und drei Werke von Georg Kolbe ("Kathedrale" von 1920/21, "Hockende auf Kugel" von 1921, "Klage" von 1921) gezeigt wurden.

  7. Münchener Secession, Künstlervereinigung, gegr. 1892.

    http://d-nb.info/gnd/1038102-8
  8. Münchener Neue Secession, Künstlervereinigung, gegründet 1913, Zwangsauflösung 1937

    http://d-nb.info/gnd/5179140-7
  9. Hahn, Hermann (28.11.1868, Kloster Veilsdorf, Thüringen – 18.8.1945, Pullach bei München), Bildhauer, Professor an der Akademie der Bildenden Künste. Hier war Karl Romeis bis 1928 sein Schüler.

    http://d-nb.info/gnd/120472627