Transkription

Pillnitz 24. Dez. 31

Lieber Georg,

Du hattest die Freundlichkeit, mir Scheibe(1)s kleine
Schrift zu schicken.

Ich bin seit Wochen wieder ganz im Bett und muß vor-
aussichtlich noch längere Zeit fest liegen; ich war wohl im
Herbst unvorsichtig und muß das jetzt büßen. Lebensge-
fährlich ist das nicht, nur langweilig. Nun kann ich
meinen Brief an Dich nicht für die Maschine diktieren, so
versuche ich auf den Knien, so gut es geht, ein paar
Worte zu schreiben, um Dir zu danken.

Ich hatte den Aufsatz noch nicht gelesen, kannte nur
die kaum begreiflichen Paraphrasen, die sich Wichert(2) in K u K(3)

darüber erlaubt hat.

Was Scheibe da geschrieben hat, ist wohl die schönste

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Huldigung, die Dir als Menschen und als Künstler ge-
bracht werden konnte und hat auch mich im Miterleben
glücklich und stolz gemacht. Es war also doch nicht nur eine
Idee in der Jugend; sondern Ihr habt die Wirklichkeit
daraus gemacht und in Deinem Werk ist eine Erfüllung.
Sinn ist nur dem gläubigen Auge wahrnehmbar und
verbirgt sich dem Forschenden. Aber wir wissen, daß durch
Dich die Plastik für uns zu der großen Hoffnung und der
Brücke geworden ist, auf der die Kunst über ihre Zeit
hinausführt.

Und so ist es mir wahrhaft ein Trost, daß dies Be-
kenntnis in diesen schönen, schweren Sätzen niedergelegt
ist. Wichert hat es scheinbar gar nicht verstanden, und
wie weit bleibt Justi(4) entfernt, der in seinem eleganten
Aufsatz über seine Tänzerin nicht hinaussah, stehen blieb,

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nel mezzo di cam[m]in(5). Aber andere werden darin den
Ausdruck finden für das, was sie selbst erkannt haben,
und für die Zukunft, in der das alles ja noch viel
wichtiger und deutlicher werden muß, ist es gut, daß
Scheibe dies über die Plastik und zu Dir gesagt hat.

Sobald das Fieber überwunden ist, hoffe ich, wieder
regelmäßig nach Berlin zu kommen und Dich dann
nach so langer Zeit wiederzusehen.

Herzliche Grüße

Hermann Schmitt

Anmerkungen

  1. Scheibe, Richard (19.4.1879, Chemnitz – 6.10.1964, Berlin), Bildhauer und enger Freund Georg Kolbes

    http://d-nb.info/gnd/118754327
  2. Wichert, Friedrich Karl Adolf (Fritz) (22.8.1878, Mainz-Kastel – 24.1.1951, Kampen (Sylt)), Kunsthistoriker, Direktor der Mannheimer Kunsthalle, ab 1923 Direktor der Frankfurter Städelschule

    http://d-nb.info/gnd/118632248
  3. Kunst und Künstler: Illustrierte Monatsschrift für Kunst und Kunstgewerbe, hier Band 30,1931, Heft 1, Seite 21-26, Aufsatz von Fritz Wichert

    http://d-nb.info/011254157
  4. Justi, Ludwig (14.3.1876, Marburg – 19.10.1957, Potsdam), Kunsthistoriker, Direktor der Berliner Nationalgalerie (1909 – 1933), Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin (Ost) 1946 – 1957

    http://d-nb.info/gnd/118776533
  5. nach Dante, L´Inferno, 1. Vers: nel mezzo del cammin di nostra vita