Transkription

Dresden d. 2. Dez 21

Lieber Georg, es war mir sehr schwer, darauf
verzichten zu müssen, nach Berlin zu kommen,
um Deine Ausstellung zu sehen. Gerade in
jener Zeit war meine Differenz mit dem
Minister wieder in ein sehr akutes Stadium
gekommen, das mich hier festhielt. Er will
mich mit aller Macht beseitigen. Damit
könnte ich, so wie die Dinge liegen, auch
durchaus einverstanden sein, wenn gewisse
Bedingungen erfüllt werden, auf denen ich
bestehen will. Er sieht nun, auf alle Weise
mich dahin zu drängen, daß ich schließlich frei-
willig verzichte, und gerade das kann ich nicht.
So geht in aller Stille das Ringen fort und
hindert mich ebenso, meine alte Tätigkeit
wieder aufzunehmen als meinem neuen
Erwerb nachzugehen, auf den ich angewiesen bin.

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Solche Umstände waren es, die mich damals hier
festhielten, weil jeden Tag eine neue Besprechung
notwendig werden konnte. Jetzt ist es wieder
ruhiger, vor Weihnachten noch einmal fortzuge-
hen. Kommt es dazu, dann werde ich be
stimmt Dich auch in Berlin aufsuchen; hoffentlich
bist Du dort; ich könnte mich in der Zeit vom
12. – 20. voraussichtlich ganz nach Dir richten.

Erst vor einigen Tagen las ich eine
Anzeige Deiner Bara(1) – Mappe. Wenn Du
noch ein Stück hast, so würde ich es sehr gerne
kaufen und bitte, mir es dann zurückzu-
legen; ich hole es mir dann ab. Es wäre
mir sehr leid, wenn die Auflage schon ver-
griffen wäre. Ist denn der Valentiner(2) erschienen?

Daß Deine Ausstellung so schön, man kann
wohl sagen, glänzend, verlaufen ist, war mir eine

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große Freude. Irgendwie hebt mich das mit, das
schöne Vorwort, das Du dazu schriebst, hat mir aus-
gezeichnet gefallen. Es ist ja alles so klar ge-
sehen und so präzis im Ausdruck, wie das
nur bei reinlichster und entschiedener Distanz
möglich ist, wie Du sie Dir geschaffen hast.

Du kannst mit gutem Grunde fragen, wer
denn überhaupt heute etwas gleiches wagen,
ja, auch nur zusammenkratzen kann, wie
Du es hier in sorgfältiger Auswahl aus Deinem
Lebenswerk bietest. Diese Continuität der
Arbeit scheint mir überhaupt die Signatur
der bedeutenden Menschen zu sein, zu dem das
Talent nur das, übrigens gar nicht so seltene,
Akzidenz ist. Ich bewundere immer von neuem,
wie Du Deine Kräfte zusammenhältst und nutzest
und zu allem vorbeirauschendem Guten wie

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Schlechten das für Deine Entwicklung nutzbringendste
Verhältnis findest. Nicht: so soll es sein , sondern
so wird es, oder wie Du schön zitierst: Kein Zweck,
sondern eine Brücke(3)
.

Also hoffentlich bald auf Wiedersehen. Es ist
mir die beste Erholung, wenn ich mal wieder
in Eurer Nähe sein kann.

Herzliche Grüße an Benny und Nora

Dein Hermann S.

Anmerkungen

  1. Bara, Charlotte (20.4.1901, Brüssel – 7.12.1986, Locarno), Ausdruckstänzerin

    http://d-nb.info/gnd/116050187
  2. Valentiner, Wilhelm Reinhold (2.5.1880, Karlsruhe – 6.9.1958, New York), Kunsthistoriker; Kurator, Verleger, Museumsleiter

    http://d-nb.info/gnd/119117223
  3. zitiert nach Friedrich Wilhelm Nietzsche, Also sprach Zarathustra, Vorrede