Transkription

(Berlin W. 10, Von Der Heydt Str. 7, B 5 Barbarossa 8590)

27. V 29

Also: der Julia-Geselle bleibt
in der Heimat! dachte ich mir’s
doch! – Aber verstehen kann ich
den Entschluss schon, denn im
Sommer gibts hier nichts zu
lachen, besonders für Etagen-
bewohner.

Ihre Sonnenbadkur will ich
meinerseits mal hier an mir ver-
suchen. Sicherlich ist die Sonne
für alle auch nicht festzustellenden
Schäden die wirksamste Reparations-
kraft. Dass Sie so intensiv kurieren,
erstaunte mich, da ich doch garnicht
ahnte, dass bei Ihnen etwas nach-
zusehen sei. Fein, dass Sie mit
Erfolg arbeiteten. Und gefreut hat
mich auch Ihr lieber Enzian-Gruss,
er kam noch recht gut hier an.

Jedoch sind das Blümchen, die mich

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nicht mehr froh machen können,
weil es einstmals umgekehrt war.
Diese Erinnerungen an lichte Berg-
rücken! nein, ich schaffe das nicht
mehr.

Schon in meiner Burg, die jetzt im
Sonnenschein u. viel Grün wohl
einladend aussieht, laufe ich etwas
ziellos auf und ab. Die Werkstatt sieht
so sonntäglich unberührt aus – wohl,
weil keiner arbeitet.

Dagegen kommen die Kinder(1) nun
schon zu drei, u. ich darf die Kleine
tragen. Bald ist der Einzug. So wird
durch die jungen Menschen dem Ganzen
ein Sinn erwachsen.

Leben Sie wohl, lieber Geselle,
und rüsten Sie sich für eine tapfere
Arbeit später hier in Berlin.

Ihr
Georg Kolbe

Anmerkungen

  1. Georg Kolbes Tochter Leonore, ihr Ehemann Kurt von Keudell und die Enkeltochter Maria, später verh. Freifrau von Tiesenhausen