Transkription

Berlin 26./ XII 12

Lieber Schmitt,

wie Du am Papier siehst, ist
der Tod zu den Meinen gekommen.
Am Montag habe [ich] meinen lieben
Vater zur Ruhe begleitet. Obwohl
seine gebrochene Gesundheit uns
schon im Frühjahr ernster mahnte,
ist der Tod eines Vaters doch eine
tief gehende Wunde. Du weisst das
schon länger als ich.

Wir sind jetzt immer still zu
drei und wünschen uns das nicht
anders.

Nora(1) freute sich sehr über Justus(2)[‘]
Sendung und hat sich vorgenommen,
morgen ihm selbst zu antworten.
Es geht uns allen gut – mehr kann
ich Euch nicht berichten.

Seite 2

Im Herbst habe ich viel gearbeitet
und niemand gesehen. Die wunder-
baren russischen Tanzmenschen(3)
haben uns im November wieder
sehr begeistert, sodass ich ihnen
fast alle Zeit opferte. Als ich aber
dann dazu kommen sollte, von
ihnen etwas für mich zu nehmen,
wurde mein Vater vom Schlaganfall
getroffen.

Wir hörten garnichts von Euch.
Hoffentlich heisst das Gutes.
Schnorr(4) wollte in diesen Tagen
zu Euch kommen – er wird uns
dann Nachricht bringen.

Euch Dreien Alles Beste von uns

Dein Georg Kolbe

Anmerkungen

  1. Leonore, Tochter Georg Kolbes (19.11.1902, Leipzig – 28.06.1981, Berlin)

  2. Sohn Hermann Schmitts

  3. 1910 und 1912 traten die 'Ballets russes', eine private Balletttruppe, in Berlin auf. Kolbe hatte mehrere Aufführungen besucht. Kolbe soll durch die Vermittlung des Generaldirektors der Berliner Museen, Wilhelm von Bode, Zugang zu den Tanzstars Nijinsky und Tamara Karsavina gefunden haben. Kolbes Figur 'Tänzer’ wurde von Nijinsky inspiriert.

    http://d-nb.info/gnd/16047158-8
  4. Schnorr von Carolsfeld, Ludwig (22.9.1877, Dresden – 8.5.1945, Berlin), Kunsthistoriker und Fotograf von Kolbes Werken

    http://d-nb.info/gnd/116849053