Transkription

Leipzig am 30./12. 1902

Lieber Freund!

Ich möchte Ihnen über meine Ausstellung
schreiben, zuvor aber sage ich Ihnen
meinen und meiner Frau herzlichen
Dank für das Buch von Victor Hehn(1).
Es berührte uns so wohl, daß Sie an uns
denken; ich habe mich selten über ein
Geschenk so gefreut, weil es von Ihnen
kam. Und in Ihrer Güte hatten Sie auch
an unser Töchterchen gedacht!
Nehmen Sie besonders auch dafür unseren
freundschaftlichen Dank.

Lieber Freund, wenn ich an Sie denke,
ist mir äußerst wohl. Ein Gefühl der
Sicherheit lebt dann in mir. Möchte das
immer so fortgehen!

Sehr bedauerlich ist, was wir weiter in
Ihrem Briefe lasen. Das Mißgeschick
berührt uns schmerzlich, denn nachdem

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wir selbst Gefahren so nahe standen,
haben wir Grund zu Furcht und Schrecken.
Wir wünschen von ganzem Herzen,
daß uns später bessere Nachricht von
Ihnen wird. Wie sehr würden wir
uns freuen, wenn Sie mit Ihrer
Frau zu uns kommen. Vielleicht
wird das im Frühling werden, wenn
wir die neue Wohnung dann beziehen?

Jetzt ist es bei uns auch wenig einladend.
Meine Frau weicht nicht eine Stunde
vom Kinde. Die Leonore(2) ist sehr eigen-
sinnig und verlangt viele Dienste.
Sie ist bei vorzüglicher Gesundheit, so daß
wir dem Geschick nicht genug danken
können. Auch meiner Frau geht
er recht befriedigend.

Doch nun zur Ausstellung!

Da möchte ich Ihnen mehr sagen als ich
kann, denn eigentlich weiß ich garnichts
Bestimmtes. Nicht einmal die Zeit

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der hiesigen Ausstellung ist mir bekannt.
Die beiden Professoren hier im Museum,
voran Schreiber(3), sind böse Nußknacker.
Vergebens rufe ich ihre Hilfe an, und
vergebens sind alle Versprechen, die man
mir giebt. Die Leute sind zu schwach,
sie haben keinen Willen und nicht
die geringste Ein- und Übersicht.

Ende Januar sende ich meinen Teil
in das Museum, und dann werden
die Sachen so lange liegen bleiben, bis
sie im Wege stehen und ausgestellt
werden müssen. Es ist noch die einzige
Macht, die ich ausüben kann, daß ich denen
die ganzen Büsten auf den Hals schicke.

Wegen Berlin fragen Sie mich umsonst,
das Wann und Wie liegt noch in der
Zukunft und ist mir unbekannt.
Ich werde aber doch Schritte thun. Wie gut
Sie sind, daß Sie sich um mich bemühen wollen.

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Wenn Sie es thuen, so wird es gern
geschehen, das weiß ich; und glauben Sie ja
nicht, daß ich einen Ersatz für Sie hätte.
Ich [sic] Gegenteil, ich halte Sie fest und bitte,
daß Sie dann schreiben, was Sie für
Recht halten. Sie fürchten sehr wohl, daß
diesmal nicht alles in's Wasser fallen
darf. Meine materielle Kraft ist
einfach versiegt. Sie haben inzwischen
meinen letzten Brief erhalten, denn
unsere Nachrichten kreuzten sich, und
wenn ich nicht irre, haben Sie da gelesen,
wie es um mich steht. –
Wenn ich Bestimmtes über die Ausstellung
weiß, erhalten Sie sofort Nachricht und hoffentlich
auch bald gute Photos.

Tuch(4) sandte mir aus Paris auch einen Brief,
welcher mich recht erfreute; die Gedichte des
Hafis(5)
. – Ich xxx höre wohl bald von
Ihnen?

Leonore liegt auf dem Divan und lacht.
Wir senden Ihnen und Ihrer Frau
herzlichste Grüße.
Immer Ihr Kolbe.

Anmerkungen

  1. Hehn, Victor (8.10.1813, Dorpat, Estland – 21.3.1890, Berlin), Kulturhistoriker, hier Publikation ohne weitere Angaben

    http://d-nb.info/gnd/118163981
  2. Leonore, Tochter Georg Kolbes (19. 11.1902, Leipzig - 28.06.1981, Berlin)

  3. Schreiber, Georg Theodor (13.4. 1848, Strehla – 13.03.1912, Leipzig), Klassischer Archäologe, Kunsthistoriker und Denkmalschützer, seit 1886 Leiter des Städtischen Kunstmuseums in Leipzig (Museum der bildenden Künste) und Kustos des Leipziger Kunstvereins.

    http://d-nb.info/gnd/119250217
  4. Tuch, Kurt (27.5.1877, Leipzig – 23.11.1963, Muri, Kanton Aargau, Schweiz),  deutscher Maler und Graphiker

    http://d-nb.info/gnd/11743339X
  5. Hafis oder Hāfiz,Ḫwāǧe Šams ad-Dīn Moḥammad Ḥāfeẓ-e Šīrāzī (1315 oder 1325, Schiras, Iran – 1390 ebd.), persischer Dichter und Mystiker

    http://d-nb.info/gnd/118544632